Die übliche Verschleppungstaktik, dann zwei Minuten Anklage, dann Schluss: der erste Tag im Prozess gegen Björn Höcke

Seit diesem Donnerstag muss sich der Thüringer AfD-Chef für die Verwendung einer Nazi-Parole verantworten. Höcke kam mit drei Verteidigern, die viele Anträge stellten.

Fatina Keilani, Halle 4 min
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Der Angeklagte Björn Höcke, AfD-Chef von Thüringen, am Donnerstag im Landgericht Halle in Sachsen-Anhalt.

Der Angeklagte Björn Höcke, AfD-Chef von Thüringen, am Donnerstag im Landgericht Halle in Sachsen-Anhalt.

Jens Schlüter / EPA

Um 10 Uhr 50 hebt der Staatsanwalt Benedikt Bernzen an: «Björn Uwe Höcke wird angeklagt . . .» – weiter kommt er nicht. «Halt! So weit sind wir noch nicht», unterbricht ihn der Verfassungsrechtler Ulrich Vosgerau, der als Strafverteidiger von Björn Höcke erst seit wenigen Tagen an diesem Prozess vor dem Landgericht im sachsen-anhaltinischen Halle beteiligt ist. «Doch, so weit sind wir», sagt Bernzen und fordert das Gericht auf, keine weiteren Anträge der Verteidigung vor der Verlesung der Anklageschrift zuzulassen.

Doch er dringt nicht durch. Vosgerau lässt Anträge vom Stapel, rügt, dass man am falschen Gericht sei, und so wird die Verhandlung erneut unterbrochen. Das ist Taktik, das Gericht ist nicht überrascht. Es fällt das Wort «Anwaltskarussell», mit dem das Gericht die ständigen Verteidigerwechsel meint.

Durch Verteidigerwechsel gelang es Höckes Team auch, die Anklage zu ändern. Die beiden zuvor verbundenen Verfahren – beide betreffen die in Deutschland verbotene Losung «Alles für Deutschland» – wurden durch einen Gerichtsbeschluss wieder getrennt, weil sich ein neu hinzugekommener Verteidiger erst einarbeiten müsse.

Von zwei Anklagevorwürfen wird nur einer verhandelt

Es ging deshalb am Donnerstag nur um die 22 Minuten lange Rede in Merseburg 2021, an deren Ende Höcke «Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland» rief. «Alles für Deutschland» war eine Losung der SA und ist in Deutschland verboten. Höcke hatte die Parole im Dezember 2023 nochmals wiederholt und dafür eine weitere Anklage kassiert, beide Strafsachen sollten eigentlich zusammen verhandelt werden.

Begonnen hatte die Verhandlung am Donnerstag um 9 Uhr 25 mit 25 Minuten Verspätung. Seit Beginn wurde kaum einmal 5 Minuten zusammenhängend verhandelt, da es ständig Unterbrechungen gab. Den ersten Antrag der Verteidigung stellte der Rechtsanwalt Philip Müller aus München, der erst am selben Tage als neuer Verteidiger hinzugestossen war. Er wollte erreichen, dass die Hauptverhandlung digital dokumentiert und die Dokumentation den Prozessbeteiligten am Ende jedes Verhandlungstages zugänglich gemacht wird.

Diese Möglichkeit ist sogar politisch in Planung, der Gesetzgebungsprozess ist fast abgeschlossen, noch gilt die Neuerung aber nicht. Nach geltendem Recht kann einem solchen Antrag derzeit nur stattgegeben werden, wenn es sich um eine Materie von überragendem historischem oder wissenschaftlichem Interesse handelt, was nach Auffassung des Gerichts nicht der Fall ist. So wird der Antrag der Verteidigung abgelehnt, das reicht ihr aber nicht, sie möchte einen förmlichen Gerichtsbeschluss. Weitere Unterbrechung, dann wird der Antrag abgelehnt. Gegen die Ablehnung wird Beschwerde eingelegt. Abgelehnt. So geht es weiter.

Der Vorsitzende kennt jedes Spielchen

Es ist die übliche Choreografie, wie sie auch in anderen Strafverfahren, ganz besonders aber in Verfahren mit AfD-Beteiligung gang und gäbe ist. In Münster vor dem Oberverwaltungsgericht war es nicht anders, Anträge über Anträge wurden gestellt. Dort wehrt sich die Bundespartei in einem Berufungsverfahren gegen die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz.

Die Erklärung für den Antrag ist, dass die AfD einer überzogenen Kritik der Öffentlichkeit, einer unfairen Berichterstattung und einem grossen Mass an Vorverurteilung ausgesetzt sei und daher nicht sicher sein könne, dass sie ein faires Verfahren bekomme. Daher gelte es, das Verfahren zu dokumentieren.

Der Vorsitzende der grossen Strafkammer, Jan Stengel, ist ein erfahrener Richter, zudem Vorsitzender einer Schwurgerichtskammer und ist mit keinem dieser Spielchen zu beeindrucken. Er dreht den Spiess einfach um. «Um für Herrn Höcke ein faires Verfahren zu sichern, muss ich von Ihnen eine Vollmacht verlangen, denn es könnte ja sein, dass Sie gar nicht befugt sind, für den Angeklagten Anträge zu stellen», sagt er dem neuen Verteidiger Müller.

Die Verlesung der Anklage dauert kaum zwei Minuten

Überhaupt lässt sich Stengel von Mätzchen nicht beeindrucken. Vosgerau zum Beispiel wünscht, dass die Verhandlung unterbrochen wird, weil er um 12 wegmüsse zu einem anderen Termin. Dann seien ja immer noch zwei Verteidiger übrig, konstatiert das Gericht. Das reiche. Vor der einstündigen Mittagspause sagt Stengel den Verteidigern, nach Auffassung der Kammer könnten sie so viele Anträge stellen, wie sie wollten. Manöver dieser Art – auch Konfliktverteidigung genannt – kennt er zur Genüge.

Der Staatsanwalt Bernzen ist jedoch mächtig genervt. Die Anklageschrift ist zum Mittag immer noch nicht verlesen. In seinen vielen Berufsjahren sei es noch nie vorgekommen, dass er während der Verlesung des Anklagesatzes unterbrochen worden sei, kritisiert er. Das sei ungeheuerlich. Das Vorgehen der Verteidigung entspreche im Übrigen genau dem, was die Strafprozessordnung verhindern wolle.

Nach der Mittagspause darf Bernzen endlich den Anklagesatz verlesen. Es dauert kaum zwei Minuten. Dann ist unvermittelt Schluss. Mehr war für den ersten Verhandlungstag nicht vorgesehen. Am kommenden Dienstag wird weiterverhandelt. Der Angeklagte Höcke will sich dann zur Sache äussern.