Am zweiten Tag des Prozesses wegen Verwendens einer Nazi-Parole sagt Björn Höcke: «Ich bin tatsächlich völlig unschuldig»

Der AfD-Politiker bringt drei Geschichtsbücher mit in den Gerichtssaal, um seine Unschuld zu belegen. Und das Gericht erklärt, dass Höckes Kandidatur durch eine künftige Strafe wohl nicht gefährdet sei.

Fatina Keilani, Halle 4 min
Drucken
Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am Dienstag vor dem Landgericht in Halle an der Saale, hinter ihm ein Verteidiger.

Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke am Dienstag vor dem Landgericht in Halle an der Saale, hinter ihm ein Verteidiger.

Jens Schlueter / DPA / AFP

Videostunde im Landgericht Halle am Dienstag. Zu sehen sind alte Wahlkampfreden der AfD Sachsen-Anhalt vom Mai 2021. Eigentlich geht es um Björn Höcke, den Thüringer AfD-Chef, der für seine Rede an jenem Tage hier als Angeklagter vor Gericht steht. «Hat jemand was dagegen, wenn wir die anderen Reden überspringen?», fragt der Vorsitzende Richter Jan Stengel. – «Ja», antwortet die Verteidigung von Björn Höcke. So kommt es, dass rund hundert Zuhörer und Journalisten sich am Dienstagmorgen erst einmal anderthalb Stunden lang altes Wahlkampfgetöse anhören müssen, obwohl sie eigentlich nach Halle gekommen sind, um zu hören, was der Angeklagte Höcke hier und heute zu seiner Rechtfertigung vorbringt.

Es geht um die SA-Losung «Alles für Deutschland», die in Deutschland verboten ist. Höcke hatte sie an das Ende seiner 22 Minuten langen Wahlkampfrede gestellt. Die Rede bildete am 29. Mai 2021 den Abschluss des damaligen Landtagswahlkampfs. Am darauffolgenden Sonntag wurde gewählt, die AfD kam auf gut 20 Prozent der Stimmen, die CDU auf 37 Prozent.

Höcke kennt die Reden der Parteifreunde nach eigenen Angaben selbst nicht, denn er komme als Redner immer punktgenau und fahre dann auch schnell wieder. Seine Tage seien eng getaktet. Seine Aufgabe sei es, als Redner die Botschaft der Freiheit zu verbreiten. Die etablierten Medien würden ihn unfair behandeln und zum «Teufel der Nation» stilisieren. Er lese sie gar nicht mehr und schaue auch kein Fernsehen.

Das Rededuell? «Keine Ahnung», sagt der Richter

«Die etablierten Medien sind nicht in der Lage, mit einem AfDler so zu reden, wie sie mit einem Sozialdemokraten, einem Christdemokraten, oder mit einem Vertreter einer anderen Partei reden», sagte Höcke. Das habe sich auch bei dem vielbeachteten Rededuell mit dem Thüringer CDU-Spitzenkandidaten Mario Voigt wieder gezeigt. Der Vorsitzende Richter Jan Stengel hat von dem Duell nichts mitbekommen.

Zum Prozess ist Höcke mit drei Verteidigern und drei Geschichtsbüchern erschienen. Er hält das Buch hoch, mit dem er selbst als Schüler im Geschichtsleistungskurs lernte: nichts drin zur SA-Parole. Er zeigt das Buch, das er selbst als Gymnasiallehrer benutzte, wenn der Nationalsozialismus dran war: nichts drin zur SA-Parole. Und er zeigt ein drittes Buch, mit dem sich Lehrer auf den «problemorientierten Geschichtsunterricht» über die Zeit des «Dritten Reiches» vorbereiten. Auch hier: nichts drin.

Er habe nicht gewusst, dass die Parole verboten sei, und er kenne auch niemanden, der es gewusst habe, beteuert Höcke. Er habe schon mitbekommen, dass einige dies nicht glauben würden, da er ja Geschichtslehrer sei. Deswegen hat er die Schulbücher mitgebracht. Er verstehe gar nicht viel vom Nationalsozialismus, sein Gebiet sei das 19. Jahrhundert, sagt Höcke.

Höcke beteuert seine Unschuld

Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Ihr Vorwurf: Der frühere Geschichtslehrer habe genau gewusst, was er tue. Er bediene sich häufig einer ähnlichen Sprache wie die Nationalsozialisten, bleibe aber meist in den Grenzen des Erlaubten, die er immer weiter zu verschieben suche. Hier aber sei er zu weit gegangen. Ihm wird deshalb das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen zur Last gelegt.

Er sei tatsächlich völlig unschuldig, beteuert Höcke. «Ich habe mit dem Nationalsozialismus nichts, aber auch gar nichts am Hut.» Er bildet Parallelbeispiele: Der Vorsitzende der grossen Strafkammer verstehe sicherlich sehr viel vom Strafrecht, vielleicht aber nicht vom Patentrecht oder vom internationalen Kriegsvölkerrecht. Man würde sich ja auch nicht den Blinddarm von einem Psychotherapeuten herausoperieren lassen, auch in der Medizin habe jeder sein Spezialgebiet.

Wenn er die Strafbarkeit gekannt hätte, so hätte er diese Parole niemals benutzt, sagt Höcke. Kann man das glauben? Zumindest teilweise hat Höcke die Parole erst im vergangenen Dezember erneut benutzt, damals kannte er die gegen ihn laufende Anklage längst. Trotzdem hat er bei einer Rede in Gera mit dem Thema und so gesehen auch mit dem Feuer gespielt. Er hat gerufen «Alles für!» und mit den Armen gerudert, damit die Menge «Deutschland!» ergänzt. Dafür hat er sich eine neue Anklage eingehandelt. Spätestens bei dieser kann er sich nicht mehr damit herausreden, die Strafbarkeit nicht gekannt zu haben. Diese Anklage wird hier allerdings nicht verhandelt.

Ein Freispruch ist denkbar

Die Anwälte von Höcke haben nämlich erwirkt, dass die Verfahren, die schon verbunden worden waren, wieder getrennt wurden. Das Argument war, dass der neu dazugekommene Verteidiger Philip Müller noch keine Zeit gehabt habe, sich einzuarbeiten.

Am zweiten Verhandlungstag gegen 14 Uhr steuert die Staatsanwaltschaft auf die Frage zu, ob die beiden Verfahren wieder verbunden werden sollten, man will auch das Video von Gera anschauen. Doch nun bringt die Verteidigung vor, dass Zweck der Verbindung nicht sein sollte, einen Freispruch zu verhindern. Durchaus raffiniert. Moment – Freispruch?

Das ist noch nicht ausgemacht, erscheint aber denkbar. Jedenfalls hat die Strafkammer bereits eine Erklärung abgegeben, wonach Höcke nicht zu befürchten hat, dass ihm das Wahlrecht und die Wählbarkeit aberkannt würden. Dafür seien mindestens sechs Monate Freiheitsstrafe nötig, hier komme jedoch allenfalls eine Geldstrafe in Betracht. Strafschärfend könnte sich der Auftritt in Gera auswirken, auch deshalb will die Verteidigung die Verbindung der Verfahren verhindern. Hier ein Freispruch wiederum würde auch die Strafaussichten in Sachen Gera reduzieren. Das wäre in Höckes Sinn, der sich wiederholt als Verfechter der Meinungsfreiheit inszeniert. Am 3. Mai wird der Prozess fortgesetzt.